PATAGONIA / ChilePATAGONIA / ChilePATAGONIA / ChilePATAGONIA / Chile
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REISE ANS ENDE DES NICHTS / Tex Rubinowitz


Und wie sieht es da „unten“ aus? Der vielgereiste Musikwissenschaftler Edek Bartz erteilt mir begeistert Auskunft: „Das musst du dir so vorstellen: Da ist nichts, das absolute Garnichts, du gehst wie auf einem Laufband,immer weiter und weiter, und es kommt nichts, kein Ziel, aber trotzdem: Gut!“

Und Charles Darwin beschrieb bei seiner Weltumsegelung 1834 die Gegend um die Magellanstrasse - die berühmte Südwestpassage, die den Südamerikaseglern das gefährliche Kap Hoorn ersparte -, also Patagonien und Feuerland, irgendwie leicht ratlos: „Das Land besteht zu beiden Seiten aus beinahe horizontalen Ebenen.“ Und weiter: „Warum haben denn nun, und das ist nicht bei mir allein der Fall, diese dürren Wüsten sich so einen festen Platz in meinem Gedächtnis errungen?“ Ja, warum nur? Wie einst Darwin und später Bartz waren auch andere von der Landschaft nachhaltig beeindruckt - Forscher und Schriftsteller, auch viele, die Patagonien gar nicht aus eigener Anschauung kannten, Edgar Allen Poe, Jules Vernes, Hermann Melville, Stefan Zweig nutzten die Gegend als Kulisse für ihre Romane und Abenteuergeschichten.

Und wenn man dann nach einem holprigen Flug aus der Backofenhitze von Santiago de Chile kommend in Punta Arenas landet (die Stewardess sagt charmanterweise „Fasten your Sitbolds“), dann ist da doch etwas: angenehme, sommerliche 10 Grad Celsius Fühltemperatur, verschwenderisch blühender Ginster, eine trostlose und zugleich großartige Gegend mit spärlicher Vegetation: Mata negra , das für die Region typische Eisenkrautgestrüpp, Moose und Flechten, die zwischen Sand und Kreideschlamm gedeihen. Der Strand mit seinen ungewöhnlichen Gezeiten ist riesig, das Meer steigt bei Flut bis an den Rand der Pampas und fließt dann wie eine ölige Masse langsam zurück. Es hinterlässt einen heimtückischen, teerigen Schlamm, auf dem sich nicht einmal erschöpfte Vögel niederlassen.

Und über allem spannt sich ein riesengroßer Bogen theatralischen Himmels.

Und dann ist da noch der Wind, der nie nachgebende, an allem zerrende Sturm. Er pfeift um die Ecken, durch die Ritzen der bunten Häuser, die aus Wellblech und Kartonteilen zusammengeschustert sind. Die Fenster sind zugenagelt, damit sie der Sturm nicht fortreißt. Die Böden sind wellig wie Eierkartons und knarren, die ächzenden Häuser scheinen sich zu bewegen, man geht in ihnen, als sei man betrunken. Ein nie endendes Gequietsche, Geschwanke, Gerüttle und Geheule erfüllt sie, die ewig züngelnde Stimme des Windes.

Das Wetter ist hier ein sehr launischer Reisegefährte, unberechenbar. Wenn die Wolkendecke aufreißt, wird man geblendet von einer grellen Sonne, greller als irgendwo anders, weil der Himmel über diesem Teil der Erde nahezu emissionsfrei ist. Und obwohl Sommer ist, und das Steißbein dieses wirbelsäulenförmigen Landes auf antipodischer Höhe von Dänemark liegt, wird es nie so richtig warm. Das liegt am Humboldtstrom, der kalte Wassermassen vom nahen Südpol heranwälzt, und mit den wärmenden Sonnenstrahlen darum wetteifert, die Luft zu einer sommerlichen Durchschnittstemperatur von 20 Grad Celsius zu mischen, wobei die Fühltemperatur infolge des mit bis zu 80 km/h blasenden Sturms das freilich um etliche Grade frischer erscheinen lässt.

Um das Wasser zu prüfen, bin ich dann im Rahmen eines Selbstversuchs auch einmal in die Magellanstraße gegangen. Zu beobachten war bei dem cirka 5 Grad kalten Wasser ein interessantes physikalisches Phänomen: Ich schrumpfte. Ich verlor die aus Scham anbehaltene Unterhose (obwohl nur ein paar scheinbar desinteressierte Pinguine zuschauten). Die am Körper etwas besser befestigte Haut bekam Falten und hing wie ein nasser Lappen am noch drei Stunden nach dem Badegang schlotternden Knochengerüst. Eine Unterhose segelt jetzt einsam zum Südpol.

Links und rechts der Magellanstraße: Schiffsfriedhöfe, Schweineställe aus Wellblech und ängstliche Wachhunde, Lupinenmeere und auf jedem zweiten Stein ein Kormoran. Manchmal spaziert ein etwas töricht aussehendes Nandu (südamerikanischer Vogel Strauß) über die Schotterpiste, merkwürdig disharmonisch, der kleine Kopf am Schlangenhals scheint dem

Körper immer etwas nachzuhinken, so als könne er sich nicht von der alten Position trennen. „Na, du Nandu“, scheint wohl der ihm gebührende Gruß zu sein.

Dann regnet es wieder, oft waagrecht, man fällt in eine Bar namens „Saturno“. Spröder Charme. Dünne, grüne Eierfadensuppe, trockene Empanadas mit grauem Gulasch gefüllt, Pulverkaffee aus der Dose, die in den Siebzigerjahren über den Ladentisch gegangen sein muss. Dicke Frauen, die mittags, in sich versunken, braunen Likör gluckern. Die Chefin, eine verblühte Ginsterkönigin mit goldenen Schuhen. Hier, hinter diesen vergilbten Gardinen lässt sich´s aufs Trefflichste wegdämmern.

Als Ende des 19. Jahrhunderts Beauftragte der chilenischen Regierung durch Europa reisten, um in verarmten Gegenden willige Emigranten zu rekrutieren, die ihr riesiges Land besiedeln sollten, wurden sie in den karstigen Regionen Kroatiens ganz besonders fündig. Sie versprachen den Leuten eine Art Paradies, auch dass dort Gold zu finden sei. Die Menschen buchten eine mehrmonatige Schiffspassage ohne Rückfahrticket in eine ungewisse Zukunft. Was sie dort vorfanden, war eine noch tristere Situation als in ihrer Heimat. Riesige Estancias betrieben im großen Maßstab Schafzucht und daran angeschlossene Schlachthäuser. Gold fanden die wenigsten. Noch heute tragen mehr als die Hälfte der Bewohner Porvenirs kroatische Namen, man trifft sich in kargen Klubhäusern, an deren Wänden Bilder von aktuellen kroatischen Politikern hängen, und im örtlichen Fußballverein spielen im Sturm Vladimiro Lausic und Fosforito Milosevic.

Zur gleichen Zeit, als diese Gegenden von ganzen kroatisch Dörfern besiedelt wurden, ruderte der deutsche Lotse Herman Eberhard mit zwei englischen Marinedeserteuren auf der Suche nach neuem Weideland durch die Bucht der letzten Hoffnung, und als sie nach Puerto Consuelo kamen, sagte er: „Hier ließe sich was machen“. Eberhard baute eine riesige Estancia und machte wenig später hinter seinem Anwesen eine Entdeckung: In einer Höhle fand er guterhaltene Fell- und Knochenreste eines großen Tieres. Es handelte sich dabei um ein Mylodon, wie sich später herausstellte, ein etwa 3,5 bis 4 Meter großes prähistorisches Riesenfaultier.

Die Familie verarmte im Zuge der Landreform. Eberhards Nachfahren wohnen heute in einem kleinen, windschiefen Häuschen in Puerto Natales. Aber der Alte hat zumindest den Beweis erbracht, dass da unten an der Südspitze Chiles, außer sehr viel Wind, doch etwas ist beziehungsweise war - immerhin ein Riesenfaultier.

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